Sage vom Feuersegen in Kleinlangheim

oder

Das Grab unter der Linde

von Carl Sindel

Nicht weit von jener Stätte, wo ich geboren bin,

Steht eine alte Linde im Gottesacker drin.

Sie streckt die langen Zweige hoch in des Himmels Blau,

Begrüßt zuerst die Sonne, genießt zuerst den Tau.


Sie sah Geschlechter kommen, Geschlechter wieder gehen,

Hat manchem Erdenbürger schon in das Grab gesehn.

Als ich ein Kind gewesen, da war sie knorrig, stark;

Ich bin ein Mann geworden, sie ist’s noch bis ins Mark.


Die wunderliche Sage knüpft sich an diesem Baum,

Wüßt’s ich nicht von der Mutter, ich glaubt es selber kaum.-

Es lag auf hartem Lager ein alt’ Zigeunerweib,

Gar nahe bei der Linde; war krank an Seel und Laib.


Die bat des Dorfes Pfarrer zu sich ans Lager hin

Und sprach: „Ihr seht ja Vater, wie nah’ dem Tod ich bin

Drum Weigert einer Bitte nicht dem Zigeunerweib:

Wenn ich nun bin verschieden, legt den entseelten Leib


Dort unter jene Linde und segnet meine Ruh’,

Schickt ein Gebet zum Himmel und deckt die Grube zu.

Doch baut mir keinen Hügel, ich wünsche dieses nicht!

Kein Zeichen soll bekunden, wo die Zigeun’rin liegt.


Verachtet blieb, verschlossen, mir stets der Menschen Reih’n

Es soll mit mir im Tode – ich will’s – nicht anders sein.

Bin doch ein Mensch wie jene, geschnitzt aus gleichem Holz.

Um ihre Gunst zu buhlen, war ich von je zu stolz.


Nun reicht die Hand mir, Vater, versprecht was ich erbat.

Gern möchte ich’s euch lohnen mit einer guten Tat.“

Der Priester reicht die Hände: „Mögt ruhig schlafen gehn,

Was ihr mir aufgetragen, soll gern für euch geschehn.“


Da glänzt ein freudig Leuchten dem Weibe im Gesicht

Und mit erhobner Stimme, verzückt, die Alte spricht:

„Nun segn’ ich dich du Dörfchen, das Gastrecht mir verlieh.

Ich segne deine Häuser, ich segne Mensch und Vieh.


Euch soll des Feuers Flamme nur treue Dien’rin sein,

Nie fauche sie blind wütend durch eure Häuser Reih’n.

Doch wenn sie euch, entfesselt, ein Haus, ein Dach zerbricht,

Das zweite soll sie schonen, weil’ die Zigeun’rin spricht!“


Und wie sie endend breitet die Händ’ zum Segen aus,

Rauscht’s in der Linde Wipfel, wie leichten Sturmes Braus.

Ein Klingen und ein Singen webt durch den weiten Raum;

Die Pußtatochter hört es und lächelt wie im Traum,


Greift schnell nach ihrem Herzen und sinkt entseelt zurück.

Der Linde an der Mauer gilt noch ihr letzter Blick.

Nun liegt sie bei der Linde schon manches Jahr im Grab.

Ihr Segen aber schützet im Dorfe Haus und Hab.


Wenn je aus Menschenhänden das Feuer sich entwand

Und in des Daches Sparren geschleudert wilden Brand

Wenn aus der Wetterwolke der Blitz herniederschlug

Und gellend Feuergarben in Haus und Scheune trug:


Ein Dach nur sank in Trümmern; ob dies in Asche lag –

Das zweite blieb erhalten – wie’s die Zigeun’rin sprach.

So weiß es jene Sage vom Grab am Lindenbaum.

Wüßt ich’s nicht von der Mutter, ich glaubt es selber kaum!

Die 400 Jahre alte Linde in voller Blüte
Am 29. Oktober 1996 durch Windböe entwurzelt

Zum Gedicht „Das Grab unter der Linde“ schrieb Fritz Grosch den „Feuersegen“. Das Gedicht stammt aus der Feder von Karl Sindel, 1913.


Kommentar von Fritz Grosch im „Zwischerlichter“:

In Kleinlangheim ist von großen Feuerbrünsten, bis in ferne Zeiten zurück, nichts bekannt. Wegen dieses Feuersegens kämpfen die Kleinlangheimer mehr um ihre alte Friedhofslinde als um alles andere im Dorf.

So lange die Linde grünt – mehr als ein Dach im Sinne von Anwesen ist nie abgebrannt, auch damals nicht, als unter den Phosphor- und Sprenggranaten während des Krieges (1939-1945) mehr als 35 Häuser in Schutt und Asche fielen. Jeder Brand beschränkte sich auf seinen Herd und griff nicht auf den Nachbarn über. Auch 1632 nicht, als Kroaten und verwilderte Zivilisten aus einigen Nachbardörfern den Ort überfielen, ausraubten und an allen vier Ecken anzündeten.

Die Kleinlangheimer ließen sich auch gefallen, dass ihr Dorf durch die bundesdeutsche Presse ging mit der Überschrift: „Weil es eine Zigeunerin prophezeite, darum brennt in Kleinlangheim immer nur ein Haus und darum brauchen sie kein Fernwasser.“

Damals ging es um den Anschluss an die Fernwasserversogung, und gewisse Kreise im Dorf machten mit den Versprechen der Zigeunerin Gegenreklame.

Der damalige 1. Kommandant Alfred Bock sen. wurde damals (1965) von einen Reporter der Zeitschrift STERN gefragt ob auch er an die Sage glaubt. Sein Antwort war „Nein, denn erstens hat Kleinlangheim eine gute Feuerwehr und zweitens hat das Dorf eine offene Bauweise – infolgedessen kann immer nur ein Haus abbrennen.“ Mit dieser Aussage schaffte er sich in gewissen Kreisen keine Freunde.